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„THE GREAT BRITISH PAINT-OFF“

inszeniert von Kunstkritikern

Wenn ich auf ein Jahr mit meinen Global-Warming-Ausstellungen, kunsthistorischer Forschung und meinem Vortrag in der Schweiz im vergangenen Mai anlässlich des 250. Geburtstags von J. M. W. Turner zurückblicke, schliesse ich das Jahr mit Gedanken zu einer Ausstellung ab, die ich letzte Woche in der Tate Britain in London besucht habe:

Turner und Constable: Rivalen und Originale

Der Titel legt nahe, dass die Besucher entscheiden sollen, wer „gewinnt“. Entsprechend nahmen die frühen Online- und Printmedien – auch in Frankreich, Italien und Spanien – rasch eine wettbewerbsorientierte Haltung ein.

Vor drei Jahren wurde mir mitgeteilt, dass die Tate beschlossen habe, eine einzige Ausstellung zum 250. Geburtstag beider Künstler zu organisieren. Ich bemerkte damals gegenüber dem zuständigen Chefkurator, dass hier wohl ein Marketingverantwortlicher eine „Zwei-zum-Preis-von-einem“-Lösung für notwendig gehalten habe. Meiner Ansicht nach hätte man jedoch problemlos zwei eigenständige, jeweils äusserst erfolgreiche Ausstellungen realisieren können – eine für jeden Künstler, im Abstand von einem Jahr.

Beide Maler sind unbestritten Ikonen der britischen Kunst des 19. Jahrhunderts, und die Ausstellung zeigt zahlreiche schöne und innovative Werke, darunter bedeutende Leihgaben. Dennoch wird die Würdigung dieser Meisterwerke durch die unnötige Wettbewerbsinszenierung überschattet. Die Frage „Wer gewinnt?“ steht einem tieferen Verständnis im Weg.

Fehlender Constable

Der Wettbewerb ist von Beginn an für beide Künstler unfair, da zentrale Werke – ja ganze Werkgruppen – fehlen. Umso erstaunlicher ist, dass nur wenige Besucher zu wissen schienen, dass gleichzeitig eine zweite, kostenlose Turner-Constable-Präsentation in der Clore Gallery im selben Gebäude zu sehen ist.

In der kostenpflichtigen Ausstellung war die Verwirrung hörbar. Ein Mann aus Suffolk ärgerte sich, dass „Turner so präsentiert wird, um Constable auszustechen, obwohl wir doch alle wissen, dass Constable der begabtere Maler war“. Eine Frau beklagte, dass ihre liebsten Turner-Werke – The Fighting Temeraire und Salisbury Cathedral – „fehlten“.John Constable self-Portrait 1806 Public Domain

Constables Porträts sind fast vollständig abwesend; lediglich ein einziges Selbstporträt ist vertreten. Dadurch wird den Besuchern die Möglichkeit genommen, die emotionale und künstlerische Bandbreite seines Schaffens zu erkennen. Das zarte Porträt von Maria Bicknell aus dem Juli 1816, gemalt zu dem Zeitpunkt, als die beiden endlich heiraten durften, hätte die Erzählung erheblich bereichert. Ebenso fehlen Constables feine Zeichnung der jungen Maria (T03900), das kleine Ölgemälde von Maria mit zwei Kindern (N03903) sowie sein Selbstporträt in Bleistift von 1805 (T03899).

Diese Auslassungen verdecken einen wesentlichen Aspekt von Constables Talent. Porträtaufträge waren nicht nur künstlerisch bedeutend, sondern auch eine unverzichtbare Einnahmequelle für seine wachsende Familie.

Ebenso fehlt weitgehend der Hinweis auf die entscheidende Rolle des Archidiakons John Fisher – Künstler, Vertrauter und Mäzen –, dessen Unterstützung für die Salisbury-Werke prägend war. Die Beschriftung der Tate erwähnt zwar den Einwand des Bischofs gegen die dunkle Wolke über der Kathedralspitze, erklärt jedoch nicht, dass Constable dieselbe Szene noch zweimal auf Leinwänden identischer Grösse malte, jede Version eine Verfeinerung der vorherigen, bis hin zur grossartigen Fassung in der Frick Collection, die hier nicht gezeigt wird.

Auch Constables Druckgrafiken sowie die Entwicklungsstufen von Salisbury Cathedral from the Meadows (1831) fehlen. Dabei führte die Zusammenarbeit mit dem Lithografen John Lucas zu wesentlichen künstlerischen Verbesserungen der Drucke – wenn auch nicht zu einer neuen Ölversion.

Unvollständiger Turner

Turners aussergewöhnliche Reisen auf dem europäischen Kontinent – die Tausende von Skizzen hervorbrachten, rund ein Drittel seiner Laufbahn ausmachen und in mehreren illustrierten Büchern dokumentiert sind – werden kaum thematisiert. Viele Besucher dürften überrascht sein zu erfahren, dass Turner durch das heutige Frankreich, Belgien, die Niederlande, Deutschland, Dänemark, die Schweiz, Österreich, Italien, Monaco, Liechtenstein, Tschechien und sogar Teile des heutigen Polens (Szczecin) reiste. Davon vermittelt die Ausstellung kaum einen Eindruck.

Werke, die das Narrativ hätten ausbalancieren können – etwa The Opening of the Wallhalla (1842) oder The Bridge of Sighs (1840) – sind in der Clore Gallery verblieben. Keine der herausragenden Aquarelle Turners für Samuel Rogers’ Italy und Poems ist vertreten, obwohl sie von enormer kommerzieller und künstlerischer Bedeutung waren. Turners Vignetten machten ihn zum gefragtesten Illustrator Grossbritanniens und trugen wesentlich zu seiner finanziellen Unabhängigkeit bei.

Eine künstliche Rivalität

Die behauptete Rivalität ist überzeichnet. Eine gemeinsame Ausstellung hätte stattdessen zeigen können, wie beide Künstler die Landschaftsmalerei auf grundlegend unterschiedliche Weise erneuerten – auf Weisen, die sich einer simplen Gegenüberstellung entziehen.

Dennoch sind die gezeigten Werke – sowohl die Leihgaben als auch die Bestände der Tate – von aussergewöhnlicher Qualität und machen die Ausstellung zu einem unbedingten Besuch. Gleichwohl hätte jeder der beiden Künstler eine eigene Ausstellung verdient, um seinen 250. Geburtstag mit einer umfassenden und ausgewogenen Auswahl zu würdigen.

Besucher sollten es nicht versäumen, auch die zusätzlichen Turner-Constable-Werke in der Clore Gallery zu sehen – auch wenn eine Wegbeschreibung hilfreich sein mag, obwohl sie sich im selben Gebäude befindet.

Eine persönliche Reflexion

Als mein Flug mich über Genf nach Hause brachte, dachte ich an Turners zahlreiche Schweizer Motive und seine weiten Blicke über Europa. Gleichzeitig verspürte ich jedoch eine gewisse Sehnsucht nach Constables Salisbury – wo unser Sohn geboren und in George Herberts kleiner Kirche getauft wurde, wo unsere Tochter die Leaden Hall School besuchte und wo John Fishers Haus im Close steht, am Ende des Regenbogens. In Salisbury begann auch meine eigene künstlerische Laufbahn, als ich Kunst und Design an der Bishop Wordsworth’s School und an der South Wilts Grammar School unterrichtete.

Turner und Constable: Rivalen und Originale ist in der Tate Britain bis zum 12. April 2026 zu sehen.

Prue Bishop 14. Dezember 2025
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